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Die Kunst des russischen, in Deutschland lebenden Malers Wladimir Schelechow ist durch eine tiefe Skepsis gegenüber dem Geist der auch technisch-wissenschaftlichen Fortschritt setzenden Kultur bestimmt.
Die in der Neuzeit schrittweise sich vollziehende Rationalisierung lebens-weltlicher Zusammenhänge eröffnet ihm zufolge dem Menschen keineswegs jene ersehnten Formen eines höheren Daseins, sondern versetzte ihn vielmehr in eine instabile und existentiell ungesichert Position, Ebenso wie zahlreiche, an die Tradition der Romantik anknüpfende Kulturkritiker erblickt er in den Prinzipien einer instrumentellen, auf Naturbeherrschung gerichteten Vernunft  eine destruktive Gewalt, die Fundamente der Humanität beschädigt und aufzehrt.
 
Auf dieses distanzierte Bild von der neueren Geschichte versucht der Maler mit eigenen Mitteln zu antworten. Sein primäres Ziel ist dabei die Wiedergewinnung eines Erfahrungsraumes, der durch die Prozesse der allgemeinen Modernisierung  der Gesellschaft verdrängt und verschüttet wurde, dessen Spuren sich im psychischen System indessen immer noch auffinden lassen. Wie weit die kulturelle oder geistige Entwicklung des Menschen im Einzelnen auch fortgeschritten sein mag, stets reproduzieren sich in seinem Inneren, wie der Maler versichert, alte, archaische Strukturen von universeller Bedeutung. Im Anschluss an Motive der Psychologie von C.G. Jung spricht er von kollektiven Unbewussten, das zeitlose und übergeschichtliche Formen werden können.
 
Schelechows  Selbstverständnis ist in diesem Sinne des einen Archäologen vergleichbar, der bemüht ist, unter der Erdoberfläche liegende Reste untergegangener Kulturen freizulegen, um so vergessene Lebensformen zu rekonstruieren und lesbar zu machen. Er steht damit unter anderem in der Tradition des in der Kunst der Moderne hervortretenden Primitivismus, der sich von einer Rückbesinnung auf archaische Vorbilder eine Erneuerung von Kultur und Gesellschaft versprach. An derartige Ansätze anknüpfend, verfolgt der sich selbst als gläubig bezeichnende Maler ein künstlerisches Programm, das nicht zu letzt auch religiöse Momente einschließt. Deutlich wird dies anhand eines von ihm mit Nachdruck hervorgehobenen Motivs, mit dem er an die Grenzen begrifflich wissenschaftlicher Rationalität erinnern möchte.
Malerei ist für ihn  das Medium der Artikulation eines rational nicht auflösenden Geheimnisses, einer dem denkenden Begreifen sich grundsätzlich entziehenden Qualität, die für  das Leben von vitaler Bedeutung ist. Gegen die Prinzipien der neuzeitlichen Aufklärung gerichtet, soll die Kunst eine Art von Erfahrung zur Geltung verhelfen, die beispielhaft im Raum der Magie und der Religion hervortritt.
 
Wenn Schelechow auch an diese Formen der Erfahrung anknüpft, so möchte er doch jeden religiösen Fanatismus prinzipiell ausgeschlossen wissen. Dies gilt auch für den Zyklus von Bildern, in denen er Motive der griechischen Mythologie verarbeitet. In den in diesen Mythen berichteten Begebenheiten und Ereignissen erblickt er einen Spiegel jener latenten Disposition und Verhältnisse, die für ihn das menschliche Leben schicksalhaft bestimmen; die gewöhnlich unbemerkt wirksam werdenden Kräfte des Unbewussten sind hier in anschauliche Zusammenhänge  und Gestalten übersetzt. Mit der Malerischen Umsetzung  des mythischen Stoffs beschreitet der Künstler vielfach eigene Wege und gewinnt den Motiven dabei unerwartete Bedeutungsqualitäten ab. In den Bildern tritt mehrfach die Figur des Minotaurus auf den Plan, jene figurative Synthese zwischen Tier und Mensch, die dem Mythos zufolge das Labyrinth des Daidalos bewohnt und diejenigen, die sich in dieses verwirrende Bauwerk hineinwagen, verfolgt und bedroht. Repräsentiert die komplizierte Architektur des Labyrinths die Leistungsfähigkeit des Intellekts, so zeigt sich im Minotaurus jene animalische Triebnatur des Menschen, die bedrohliche Züge besitzt.
Schelechow verwandelt das mythische Monstrum dagegen in eine versöhnlich und friedfertig wirkende Kreatur.
 
Eines der Bilder zeigt den Stiermenschen gelassen auf dem Boden ausgestreckt, einer Musik lauschend, die der vor ihm ebenso friedlich sitzende Pan mit seiner Flöte erzeugt. –Minotaurus und Pan-
 
Auch die einäugigen Zyklopen, die im Mythos Furcht und Schrecken verbreiten, haben im Werke des Malers ihren Charakter deutlich gewandelt. In helles Licht getaucht, sitzen sie wie heitere Sommergäste auf einem dünenartigen von einem blauen Himmel überwölbter Sandhügel.                                
-Zyklopenfamilie-
 
Doch auch die dunkle Seite der Mythen findet in diesem Zyklus von Arbeiten ihren Ausdruck. Eines der Bilder, in dem der klassische Mythos vom -goldenen Flies- aufgegriffen wird, zeigt eine Komposition, die an eine Kreuzigungsdarstellung aus der christlichen Kunst denken lässt. Das geweihte Heilige Fell, das die Argonauten auf ihrer Meeresfahrt nach Kolchis mit Hilfe der Medea in ihre Gewalt bringen konnten, ist hier zusammen mit einem Widderkopf an dem aufrecht stehendem Kreuz befestigt und auf eine Weise mit dem Motiv des Todes in Verbindung gesetzt. Der Maler, der hier das Zeichen der von Erfolggekrönten Reise des Jason und seiner Begleiter präsentiert, erinnert zugleich an jene tragischen Begebenheiten, die diesen Mythoskomplex überschatten. Als verstoßene Gattin tötete Medea ihre Konkurrentin Glauke  und deren Vater sowie auch ihre eigenen Kinder, während  Jason später selbst von einem abfallenden Balken des Argonautenschiffes erschlagen wird.
Indem  der Künstler in dieser Komposition auf das Symbol des Kreuzes zurückgreift, schafft er eine assoziative Verknüpfung zwischen den in der Argonautensage berichteten Ereignissen und der Ethik und Erlösungslehre des Christentums.
Obwohl die Lebenswege Jasons und der Medea im Verlauf der mythischen Erzählung auf einen unüberwindlichen erscheinenden Tiefpunkt zulaufen, behält das Motiv der Hoffnung für den Maler doch die Oberhand. Als ein Zeichen der christlichen Erlösung nimmt das Kreuz den tragischen Begebenheiten ihren unwiderruflichen Charakter.
 
Ein weiteres Motiv aus der griechischen Sagenwelt, das in den Zyklus Aufnahme findet, ist das Schicksal des –Ikarus Absturz-, der Sohn des Daidalos. Mit künstlichen, aus Federn und Wachs gebildeten Flügeln zum Himmel sich erhebend, stürzte Ikarus schließlich ins Meer als er seine Flügel verlor, weil er der Sonne zu nahe kam und sich dabei das verwendete Wachs verflüssigte. Der in dem Mythos verbildlichte Freiheitsdrang des Individuums und dessen tragisches Scheitern werden bei Schelechow zu einer Metapher für einen inneren Widerspruch in der Entwicklungsdynamik der modernen Kultur. Mit den in die malerische Textur der Flügel eingearbeiteten Zeitungsfragmenten spielt er auf jene Medienwelt an, die sich ihm zufolge von der Wirklichkeit der Dinge zunehmend ablösen und auf diese Weise die Gesellschaft in den Zustand einer gefährlichen Schwerelosigkeit hineinmanövrieren. Ähnlich wie Ikarus, der bei seinem Flug den Erdboden aus seinen  Augen verlor und deshalb im Meer ertrank, droht eine durch die modernen Informationstechnologien bestimmte Kultur für Schelechow an ihren eigenen Errungenschaften zu zerbrechen.
 
Das gesamte menschliche Leben bewegt sich, wie der Maler hervorhebt, zwischen Aufstieg und Abstieg und das heißt zugleich zwischen Gut und Böse.
 
Der von ihm dargestellte Kampf zwischen –Zentaur und blauem Stier- gibt ein Bild eines geschichtlich nicht aufhebbarem Konflikts zwischen diesen gegeneinander gerichteten Prinzipien. Der Kunst kommt in einer so begriffenen Welt für Schelechow eine diagnostische Aufgabe zu. Besonders deutlich werden seine künstlerischen Intentionen anhand jener Komposition die einen goldenen Fisch inmitten unterschiedlicher Objekte zeigt, die wie Treibgut auf der Ebene einer strandartigen Bodenzone verstreut liegen. Folgt man dem erläuternden Kommentar des Malers, so handelt es sich hierum so etwas wie ein Friedhof der alten, nur noch in Fragmenten vorhandenen Mythologie, der von einem Lebewesen bewohnt wird, das als Symbol der gegenwärtigen, primär durch ökonomisches Gewinnstreben geleiteten Gesellschaft zu betrachten ist.
 
Wenn auch Schelechows Blick auf die soziale und geschichtliche Welt durch Innere Distanz und Skepsis bestimmt ist, so kehrt er dennoch einen ungebrochenen Glauben an die Wirkungskraft des mythischen und religiösen Denkens hervor. Gegen die herrschende Rationalität soll die Kunst seinem Verständnis nach an verschüttete Quellen anknüpfen und auf diese Weise historische Tendenzen korrigieren helfen. –Goldfisch-
 
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Eine bildnerische Archäologie
Über einen Zyklus von Bildern des Malers
Wladimir Schelechow
Dr. Hans Zitko, Frankfurt